Anastasia Antoniwna Artemchuck (geb. Lahovska) wurde am 1. März 1927 in dem Dorf Vershnytsia (Rajon Novohrad-Volynskyi, Oblast Zhytomyr) geboren. Sie hatte eine Schwester, Olha, und drei Brüder. Ihr Vater starb, als sie drei Jahre alt war, und ihre Mutter, Maria Lahovska, arbeitete in einer örtlichen Kolchose. Als Kind überlebte sie den Holodomor von 1932 bis 1933:
„Es gab große Schwierigkeiten. Viele Menschen starben in den Wäldern und auf der Straße. Überall starben Menschen.“
Ihre Familie überlebte, weil sie eine Kuh besaß, die ihre Mutter gegen Brot eintauschen konnte. Anastasias Schulbildung war rudimentär, und sie musste 10 Kilometer hin und zurück zur Schule laufen. Vor dem Krieg arbeitete sie auf dem Bauernhof der Familie, ließ eine Kuh weiden und half ihrer Mutter bei der Flachsernte.
Als der deutsch-sowjetische Krieg ausbrach, war Anastasia am Arbeiten. Ihr ältester Bruder Oleksandr wurde zur Roten Armee eingezogen und kam bei den Kämpfen ums Leben. Unter der NS-Besatzung wurde Anastasias Mutter krank, und die Kuh wurde beschlagnahmt. Anastasia versuchte, sich der Einberufung zur Zwangsarbeit zu entziehen. Trotz ihrer Bemühungen wurde sie am 25. Mai 1942 verhaftet – zu diesem Zeitpunkt war sie noch keine fünfzehn Jahre alt. Man gab ihr kaum Zeit zum Packen und sie konnte außer Lebensmitteln nichts mitnehmen. Mit fünf älteren Mädchen wurde sie in Güterwaggons nach Deutschland gebracht.
Anastasia kam in Frankfurt an der Oder an. Dort wurde ihr befohlen, sich ein Abzeichen mit der Aufschrift „OST“ auf die Kleidung zu nähen, wie die anderen Zwangsarbeitenden aus der Sowjetunion. Sie wurde in einer Baracke in einem örtlichen Dorf untergebracht und zur landwirtschaftlichen Arbeit, dem Jäten von Rüben, gezwungen. Weniger als einen Monat später versuchte Anastasia zu fliehen. Drei Tage lang irrte sie zwischen Roggenfeldern umher. Mit Hilfe eines Hundes spürten die Behörden sie auf; sie wurde geschlagen und an ihren Arbeitsplatz zurückgebracht.
Nach diesem Vorfall wurden Anastasia und fünf weitere Zwangsarbeiterinnen nach Landsberg an der Warthe (heute Gozów Wielkopolski, Polen) gebracht:
„Dort wurden wir wieder sortiert. Mich haben sie zuerst geholt. Ich habe geschrien und versucht, etwas zu tun, damit sie mich nicht mitnehmen. Ich wusste nicht, wohin sie mich allein bringen konnten. Ich kannte die Sprache nicht, ich habe nichts verstanden.“
So kam sie auf den Hof der Familie Branz. Er wurde von einem Ehepaar mit zwei Söhnen geführt - der ältere war bereits vor Anastasias Ankunft verstorben. Der jüngere Sohn wurde bald in die Wehrmacht eingezogen und fiel ein Jahr später an der Front. Auf dem Hof lebten auch eine deutsche Magd und ein polnischer Zwangsarbeiter. Anastasia bemerkte, dass der polnische Zwangsarbeiter einen höheren Status hatte als sie selbst:
„Ich weiß, dass er von Zeit zu Zeit nach Hause kam. Seine Frau mit zwei Kindern kam ihn besuchen.“
Anastasia teilte sich ein Zimmer mit dem deutschen Dienstmädchen, und alle Arbeiter aßen gemeinsam. Sie erinnert sich, dass sie hart arbeiten musste. Ihr Arbeitstag begann um drei Uhr morgens mit dem Melken der zwölf Kühe des Hofes und der Kartoffel- und Rübenernte.
Anastasia schrieb Briefe nach Hause, kommunizierte aber kaum mit anderen Zwangsarbeitenden in der Gegend. Dafür war einfach nicht genug Zeit. Sie erinnert sich, dass ihr gegenüber drei Zwangsarbeiterinnen aus der Oblast Mykolaiv wohnten – Cousinen. Eine von ihnen, Maria, nahm sich selbst das Leben.
Anastasia erlebte die Bombardierung von Landsberg an der Warthe, aber in der ländlichen Gegend war es ruhiger. Sie erinnert sich an die Ankunft von Soldaten der Roten Armee, die das Haus betraten aber sie nicht anrührten, sondern nur das Fleisch aus der Räucherkammer nahmen. Sie blieb einen Monat lang auf dem Hof, bevor sie ihre Heimreise antrat. Durch einen Soldaten der Roten Armee konnte sie einen Brief an ihre Verwandten über ihre Rückkehr schicken. Ihre Heimreise war wegen der ständigen Bombenangriffe lang und gefährlich. Ihr Weg führte sie durch Polen, Weißrussland und die Ukraine, wo sie schließlich ihr Heimatdorf erreichte:
„Ich ging in das Haus. Ich hörte, wie meine Mutter zu Gott betete und sagte: ‚Wo ist meine Tochter? Möge der Herr sie beschützen und sie warnen, damit der Herr sie nach Hause zurückbringt.‘ Ich rief: ‚Mama!‘ So bin ich nach Hause gekommen.“
Nach ihrer Rückkehr wurde Anastasia einem sowjetischen Verhör unterzogen, um ihre politische Zuverlässigkeit zu prüfen:
„Sie fragten mich: ‚Was hast du dort gemacht? Wie haben sie dich ernährt? Haben sie dich gefoltert oder nicht?‘“
Ein sowjetischer Polizist besuchte sie auch mehrmals, um sicherzustellen, dass sie nicht weggelaufen war. Nach dem Krieg ging Anastasia zur Arbeit in einer örtlichen Kolchose. Dort war sie insgesamt 36 Jahre lang beschäftigt.
Nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 wurde Anastasias Dorf Teil der Sperrzone. Im Jahr 1992 wurden die Bewohner, darunter auch Anastasia und ihre Familie, nach Ozadivka im Rajon Berdychiv, Oblast Zhytomyr, umgesiedelt. Dort lebt sie auch heute noch. Als der russisch-ukrainische Krieg in vollem Umfang begann, lebten Anastasias Enkelin und ihre Urenkel in Narodychi, das von russischen Truppen angegriffen und zerstört wurde; russische Truppen besetzten einige Nachbardörfer. Ihre Enkelin war gezwungen, das Land mit ihren Kindern zu verlassen.
Geschrieben von Barbara (Maastricht), HeeJin (Seoul), Sabine (Göttingen)